Blogbeitrag
Die Weihnachtswunschliste... Für meinen Neffen ist das eine ernste Angelegenheit. Akribisch schaut er sich die ganzen Spielzeugprospekte durch und kreuzt erst mal alles an, was noch nicht in seinem Kinderzimmer liegt. Da kommt natürlich einiges zusammen. Dieses Jahr hat er ausserdem die Pokémon-Karten für sich entdeckt. Und nun wünscht er sich seine beiden Lieblinge aus der Serie, Lucario und Rayquaza. Nicht einfach irgendwie, sondern lebendig.
Dieses Jahr also lebendige Pokémons und bald sicher auch ein eigenes Tablet oder Smartphone, eine Spielkonsole und so weiter. Das Schöne ist ja, Wünsche gehen uns (hoffentlich) nie aus – die Frage ist nur: Was ist unsere Haltung als Eltern, Tante, Götti, Grosseltern, wenn es ums Erfüllen dieser Wünsche geht? Was wollen wir vermitteln? Wie halten wir Enttäuschungen aus?
Leuchtende Kinderaugen sind etwas Wundervolles. Das strahlende Gesicht, wenn sich mein Neffe über etwas freut, ist unbezahlbar. Und es gibt Spielsachen, die ihn lange begleiten, über Jahre sogar. Bei anderen wiederum hält die Begeisterung nur kurz.
Ein Blick in die Psychologie des Wünschens lässt uns besser verstehen, warum Wunschzettel uns viel über die innere Entwicklung des Kindes erzählen.
Auf Erwachsene wirken unrealistische Wünsche wie ein lebendiges Pokémon seltsam. Für Kinder sind sie vollkommen stimmig, denn im Vorschul- und frühen Schulalter verschmilzt Fantasie mit der Realität. In dieser Phase intensiver Vorstellungskraft fühlen sich Figuren aus Serien, Spielen und digitalen Welten nah und greifbar an, auch wenn im Grunde klar ist, dass Pikachu & Co. nicht echt sind.
Wünsche haben nicht nur damit zu tun, etwas haben zu wollen. Es geht um Neugier, Identifikation, Bedürfnisse. Lucario und Rayquaza müssen ein Abenteuer nach dem anderen überstehen. Sie sind stark und mutig. Ausserdem sind sie Teil eines Teams. Alles Dinge, die Kinder selbst gerne erleben möchten.
Andere Wünsche wie ein eigenes Tablet oder eine Spielkonsole drücken oft ein Bedürfnis nach Autonomie aus: Kinder möchten selbst entscheiden. Und Zugehörigkeit spielt eine wichtige Rolle: Kinder möchten mitreden können und Erlebnisse mit Freundinnen und Freunden teilen.
Wenn Kinder also lange Listen schreiben oder nach Dingen fragen, die es nicht geben kann, zeigt das vor allem eines: Sie entdecken die Welt, lernen überhaupt erst, Wünsche zu formulieren – und testen nicht zuletzt unsere Reaktionen.
Viele Familien erleben, dass zu viele Geschenke eher überfordern. Kinder verlieren den Überblick oder widmen sich kaum einem Spielzeug wirklich. Es hilft, als Eltern einen klaren Rahmen zu setzen und im Familienverbund Absprachen zu treffen. Denn nicht jeder Wunsch muss erfüllt werden. Wenn nicht alles, was auf der Wunschliste stand, auch unterm Weihnachtsbaum liegt, ist das für Kinder eine wichtige Erfahrung. Sie lernen, mit Enttäuschungen umzugehen und Erwartungen anzupassen.
Und schliesslich darf man immer weiter träumen. Unerfüllte Wünsche nähren die Fantasie und lassen innere Bilder entstehen, die kein Geschenk ersetzen kann. Mein Neffe wird Lucario und Rayquaza nicht lebendig bekommen. Aber er kann dennoch mit ihnen spielen, als ob sie da wären, kann sich Geschichten und gemeinsame Abenteuer ausdenken.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen und Ihren Familien frohe Feiertage, die Raum lassen für Träume und kleine Wunder.
Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.
Letzte Aktualisierung des Textes am 15.12.25