Cybermobbing-Prävention: «Das ist wie ein Muskel, der trainiert werden muss»

| Bettina Bichsel

(Cyber-)mobbing kommt in erschreckend vielen Schulen vor. Auch deshalb ist das Interesse am Theaterprojekt #BYEBITCH riesig. Was beschäftigt die Schülerinnen und Schüler am meisten? Und was wünschen sie sich von uns Erwachsenen als Unterstützung?

«Hüt weiss ich: wegluege isch keis Stuck besser als zueluege.» Das sagt die Schauspielerin Mira Guggenbühl in ihrer Rolle als Noëmi vor den Schülerinnen und Schülern im Klassenzimmer. Noëmi ist die beste Freundin von Chris, die sich nach unzähligen Hasskommentaren und Beleidigungen das Leben genommen hat. In einem Moment, als sie eigentlich für ihre Freundin hätte da sein wollen, beschreibt Noëmi, wie ihre Angst, plötzlich das nächste Opfer sein zu können, immer stärker wird: «De Gedanke, was sie über mich schriibed, wenn ich jetzt aktiv wird […] isch plötzlich viel grösser worde als jedes Mitgfühl für mini besti Fründin. Will du weisch nie, ob du die Nechsti bisch, wenn du nöd mitmachsch, nöd mitlachsch, nöd mitschwiigsch.»

Das Stück, initiiert und in Szene gesetzt vom Kunstkollektiv Stick Around, ist nicht nur auf der Bühne des Schauspielhauses Zürich zu sehen, sondern geht insbesondere direkt in die Klassenzimmer. Dorthin also, wo sich Cybermobbing oft abspielt. Es lehnt sich ausserdem an die tragische Geschichte von Céline an: Nach massiven Cybermobbing-Attacken hatte sich das 13-jährige Mädchen 2017 das Leben genommen. Ihre Eltern Nadya und Candid Pfister, die selbst mit Vorträgen und Workshops in Schulen gehen, um über Cybermobbing aufzuklären und Präventionsarbeit zu leisten, unterstützten das Theaterprojekt.

Ich erlebe, dass fast alle schon in irgendeiner Form Hassnachrichten oder Beleidigungen online erhalten haben.

Manuela Runge, #BYEBITCH

Cybermobbing: unter Jugendlichen weit verbreitet

Zurück in die Schulklassen: Wenn das Theaterstück, in dem neben Noëmi insbesondere Chris' Vater (gespielt von Matthias Neukirch) im Fokus steht, nach 45 Minuten zu Ende ist, sind die Schülerinnen und Schüler emotional bewegt. Um das aufzufangen, findet direkt anschliessend eine Gesprächsrunde statt. Zusätzlich können die Schulen einen zeitlich versetzten Workshop buchen.

Theaterpädagogin Manuela Runge leitet diese Workshops und beobachtet, dass mit etwas Abstand weitere Fragen auftauchen. Ausserdem zeige sich in jeder Klasse, wie wichtig es sei, sich mit dem Thema zu befassen: «Ich erlebe, dass fast alle schon in irgendeiner Form Hassnachrichten oder Beleidigungen online erhalten haben. Und auch wenn sie selber nicht betroffen sind, kennen sie eine Person in- oder ausserhalb der Klasse, der es schon passiert ist. Alle wissen, worüber wir sprechen.»

Was die Jugendlichen umtreibt, ist oft genau das, was Noëmi in der eingangs beschriebenen Szene ausspricht: Wie kann ich helfen, ohne als Verräter oder Petze dazustehen und dadurch selbst zur möglichen Zielscheibe werden?

Wenn die Bystander*innen aktiv werden ist häufig schon sehr viel erreicht.

Dominic Schibli, #BYEBITCH

Konkrete Hilfestellungen nötig

Was vielleicht überrascht: Obwohl das Thema Cybermobbing bestimmt in den meisten Schulen auf irgendeine Art und Weise aufgegriffen wird, scheinen den Schülerinnen und Schüler konkrete Hilfestellungen zu fehlen. «Viele wissen beispielsweise nicht, dass Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter verpflichtet sind, Namen geheimzuhalten, wenn sie einen Hinweis auf Cybermobbing erhalten», sagt Manuela Runge. «Dabei wurde ihnen das bestimmt mal gesagt, dass solche Hinweise anonym gemacht werden können.»

Im Workshop werden darum konkrete Tipps angeschaut und mit dem im Stück geschilderten Fall in Verbindung gebracht: Wann kann wer was tun?

Manuela Runge rät den Schulen zudem, das Thema immer wieder aufzugreifen: «Das ist wie ein Muskel, der trainiert werden muss. Es reicht nicht mit einem Mal. Oder indem ein Zettel aufgehängt wird, der sagt 'Wir haben Respekt voreinander'. Was bedeutet Respekt? Was habe ich davon, wenn ich respektvoll mit anderen umgehe?»

Im Workshop werden spielerisch Erfahrungsräume geschaffen, in denen es zum Beispiel darum geht, sich und andere wahrzunehmen. Zu spüren, was Empathie ist oder wie Ausgrenzung entstehen kann. Insgesamt muss es aber darum gehen, das Thema Cybermobbing aus verschiedenen Perspektiven aufzugreifen, konkrete Fälle zu besprechen und möglichst handfest zu vermitteln, dass man nicht machtlos ist.

Zivilcourage als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Auch Dominic Schibli, Teil des künstlerischen Teams von Stick Around betont aufgrund der Arbeit mit den Schulklassen, wie wichtig es ist, Räume für Fragen und Gespräche zu schaffen: «Wir merken in den Nachgesprächen, dass es vielen Schüler*innen sehr gut tut, über Erfahrungen zu sprechen und sich miteinander auszutauschen. Man fühlt sich direkt weniger allein.»

Cybermobbing-Prävention sehen die Verantwortlichen von #BYEBITCH aber auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zivilcourage ist für Dominic Schibli ein wichtiges Stichwort: «Wir versuchen immer auch aufzuzeigen, dass die Gruppe der Bystander*innen – also der Personen, die weder Täter*innen noch Opfer sind, aber das Mobbing trotzdem mitbekommen – in den meisten Mobbing-Fällen die Mehrheit ausmacht. Und dass, wenn die Bystander*innen aktiv werden und auch z.B. nur mit kleinen Handlungen Zivilcourage zeigen, häufig schon sehr viel erreicht ist.»

Prävention beginnt in der Familie

Und als Eltern? Wie können wir da unsere Kinder unterstützen? Für Manuela Runge beginnt Mobbing-Prävention in der Familie dabei, «dass ein Kind Selbstvertrauen entwickelt, dass es sich geschützt und so angenommen fühlt, wie es ist. Es muss sich dann auch nicht über andere erheben, indem es mobbt. Und es kann aufstehen gegen Mobbing.».

Bleiben Sie auch als Eltern im Gespräch mit Ihrem Kind: Wie fühlt es sich im Klassenverbund? Hat es schon selbst im Klassenchat oder in sozialen Medien Beleidigungen erfahren oder erlebt, dass andere mit Hassnachrichten oder -kommentaren attackiert wurden? Sprechen Sie darüber, was im Ernstfall zu tun ist. Konkrete Tipps finden Sie in unserer Rubrik → Cybermobbing. Zudem bieten die Beratungsstellen der Opferhilfe Unterstützung: Stellen in Ihrer Nähe finden Sie → hier.

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Offizielle Vorstellungstermine finden Sie auf der → Webseite von #BYEBITCH

Interessierte Schulen aus dem Kanton Zürich können sich per Mail an antonia.andreae [​at​] schauspielhaus.ch wenden. Da die Nachfrage gross ist, muss mit Wartezeiten gerechnet werden. (Die Kosten für die Aufführung, das Nachgespräch und den vertiefenden Workshop werden vom Schulamt der Stadt Zürich und der Bildungsdirektion Schule und Kultur des Kanton Zürich unterstützt.)

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.