Meine Tochter teilt ihr halbes Leben auf Snapchat. Sie erhält viele bestärkende Nachrichten – manchmal aber auch glühenden Hass total aus dem Nichts. So geschehen nach einem Besuch im Nagelstudio.
«Heute möchte ich die Nägel mal etwas spitzer feilen.» Meine Tochter hält der Naildesignerin im Studio ihr Handy entgegen, darauf ein Bild mit zartrosa Nägeln, die spitz zulaufen. Ich bin überrascht, bisher wollte sie ihre Nägel immer oval wie die meisten ihrer Altersgenossinnen – und selbst finde ich die spitzen Nägel auch nicht besonders schön. Aber ich sage natürlich nichts, sondern bin insgeheim stolz, dass sie so selbstsicher wählt, was ihr gefällt. Die Nailstylistin zieht ihre Atemmaske hoch und macht sich an die Arbeit.
90 Minuten später ist das Werk vollendet, meine Tochter zufrieden. Sie hält ihre linke Hand in die Höhe und macht ein Foto. «Was tust du?», frage ich sie. «Ich mach eine Story für Snapchat», antwortet sie schulterzuckend. Sie zieht ihre Jacke an und wir gehen nach Hause.
Ich bin beeindruckt von ihren Videoskills, wie gut und ausgewogen sie Sachverhalte erklärt und argumentiert, wie deutlich sie spricht, wie empathisch sie sich äussert.