«Geht es wirklich um Sicherheit?»

| Bettina Bichsel

Der Markt für Tracking-Tools – also digitale Geräte, die es ermöglichen, den Standort von jemandem zu verfolgen – boomt. Zu den Zielgruppen der Herstellerfirmen gehören nicht zuletzt Eltern. Bevor Sie aber Ihr Kind per Smartwatch oder AirTag mit einem GPS-Sensor ausstatten, um stets im Bilde zu sein, wo es sich gerade aufhält, sollten Sie sich einige Frage stellen. Und sich überlegen, ob es nicht Alternativen gibt.

GPS-Tracker sind vielseitig einsetzbar: Die abenteuerlustige Katze kann genauso damit ausgestattet werden wie der Schlüsselbund, der schon zwei Mal verloren ging. Die kleinen Geräte sind mit einem Smartphone oder Computer sowie über das weltweite Satellitennetz verbunden. So kann ich zu jeder Zeit auf Google Maps erkennen, wo meine Katze herumstreunert oder wo mir die Schlüssel aus der Tasche gefallen sind.

Tracking bedeutet eine Überwachung auf Schritt und Tritt.

Sandra Husi, Datenschutzexpertin

Eltern als Zielgruppe entdeckt

So weit, so hilfreich. Nun nehmen die Herstellerfirmen aber auch immer mehr die Eltern ins Visier und machen sich die Tatsache zunutze, dass das Wohlergehen der Kinder für Mütter und Väter an oberster Stelle steht. Die Marketingbotschaft ist einfach: Wenn Sie immer wissen, wo sich ihr Kind aufhält, tragen Sie grösstmöglich zu dessen Schutz bei. Oder anders gefragt: Was sind Sie bloss für Rabeneltern, wenn Sie noch nicht darüber nachgedacht haben, Ihr Kind mit einem Tracker auszustatten?

Beliebt sind beispielsweise die AirTags von Apple, die sich ganz leicht am Chindgsi-Täschli oder Schulrucksack befestigen lassen. Oder digitale Kinderuhren, sogenannte Smartwatches, die Eltern ihrem Kind oftmals als Vorstufe eines eigenen Smartphones schenken. So lässt sich beispielsweise nachverfolgen, ob sich ein Kind noch auf dem Nachhauseweg befindet, wenn es nicht zur erwarteten Zeit zurück ist.

Aber nicht nur das. Datenschutzexpertin Sandra Husi Stämpfli, die sich wissenschaftlich mit dem Thema befasst, erzählt auch von Situationen wie dieser: «Es gibt Fälle in Kitas, da gibt es Streit zwischen Kindern und eines ruft über die Smartwatch sein Mami zu Hilfe.» Ihr Eindruck von Fachtagungen sei es, dass die Thematik zunehme. «Erste Kitas, Kindergärten und Schulen sehen sich gezwungen, Regeln aufzustellen.»

Pflicht zur elterlichen Sorge rechtfertigt nicht alles

Abgesehen davon gibt die Expertin noch andere Aspekte zu bedenken. Erstens: Kinder haben Persönlichkeitsrechte, die auch innerhalb der Familie und gegenüber ihren Eltern gelten. «Tracking bedeutet eine Überwachung auf Schritt und Tritt», so Sandra Husi. «Das ist etwas, das wir sonst nur bei Kriminellen mit Fussfesseln kennen. Weil es eben einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt.»

Als Rechtfertigung könnte man nun mit der elterlichen Sorge um das Wohl des Kindes argumentieren. Aber Hand aufs Herz: Geht es wirklich um das Kindeswohl? Kann ich mein Kind wirklich davor schützen, von einem Auto angefahren zu werden, wenn ich auf meinem Smartphone mitverfolgen kann, welchen Weg es zu Oma und Opa nimmt? Lernt es auf eine gesunde Art und Weise, sich von mir zu lösen, wenn es mich bei jedem Streit mit seinen Gspänli über die Smartwatch kontaktieren kann, wo doch die Kita-Mitarbeitenden als Ansprechpersonen da sind?

Datenschutz lässt zu wünschen übrig

Zweitens: Beim Datenschutz schneiden die Tracking-Tools nicht gerade gut ab. Sandra Husi bringt es auf den Punkt: «Man erhofft sich Sicherheit, aber die Tools können relativ einfach gehackt werden, da die Daten, die zwischen dem Tracking-Gerät und dem Smartphone der Eltern übermittelt werden, regelmässig nicht verschlüsselt sind.» Wer sich technisch gut auskennt, hat dadurch leicht Zugriff auf diese äusserst sensiblen Daten. Das bedeutet mitunter, dass wir als Eltern genau das Gegenteil dessen erreichen, was wir eigentlich wollten: Jemand mit krimineller Absicht kann den Standort meines Kindes genauso sehen wie ich.

Zwingend ist aus meiner Sicht, dass man mit den Kindern das Gespräch sucht und ihnen erklärt, worum es geht.

Sandra Husi

Vertrauen ist gut, aber Kontrolle besser?

Ein dritter wichtiger Aspekt ist die eigene Wertehaltung, die wir als Eltern ja auch unseren Kindern vermitteln wollen. Dazu gehört, Kindern etwas zuzutrauen und ihnen auch zu vertrauen, dass sie sich an Vereinbarungen halten. Ihnen nach und nach mehr Freiräume zu geben. Loszulassen. Diese Themen erfordern nicht zuletzt, dass wir als Erwachsene uns mit eigenen Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten auseinandersetzen.

Sandra Husi rät dazu, sich ehrlich die Frage zu stellen: Was will ich mit dem Tracking-Tool erreichen, was erhoffe ich mir davon? Geht es wirklich um Sicherheit oder eher darum, nicht loslassen zu wollen?

Und dann gilt es zu schauen: Gibt es nicht auch Alternativen? Vielleicht reicht ja ein Handy, mit dem das Kind telefonisch erreichbar ist oder selber anrufen kann, wenn etwas ist. Oder ein Smartphone, mit dem gegebenenfalls auch über Messengerdienste wie WhatsApp der Standort geteilt werden kann.

 

Tipps

Wer sich dennoch für ein Tracking-Tool entscheidet, sollte sich laut der Expertin zunächst mit Blick auf den Datenschutz mit den Angeboten auseinandersetzen. Was geschieht mit den Daten, wo werden sie gespeichert? Was wird gemacht, um sensible Angaben zu schützen?

Und: «Zwingend ist aus meiner Sicht, dass man mit den Kindern das Gespräch sucht und ihnen erklärt, worum es geht. Ein absolutes No-Go ist es, ein Tracking-Gerät einfach im Kinderrucksack zu verstecken oder eine Smartwatch zu schenken, ohne zu sagen, was das bedeutet.»

Eine Möglichkeit könnte sein, dem Kind zu erlauben, allein zum Spielen in den Park zu gehen, aber zu erklären, dass es den Park nicht verlassen darf und dass das Tracking-Tool das überwacht. So gibt es eine punktuelle Kontrolle statt einer 24-Stunden-Überwachung. Und ihr Kind wird in seinem Eigenständigkeitsprozess unterstützt.

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.