In diesem Spannungsfeld ist es kein Wunder, dass Heranwachsende verunsichert sind und nach Orientierung suchen. Denn Jugendliche brauchen Vorbilder, die sie inspirieren und ihnen ein greifbares, attraktives und funktionierendes Mann-Sein vorleben. Influencer aus der Sigma-Male-Szene, fragwürdige Männlichkeits-Coaches und sogenannte Pick-Up-Artists (Deutsch: Abschlepp-Künstler) geben vor, genau das zu bieten. Sie prahlen damit, die ultimativen Tipps zu haben, um erfolgreich zu sein – sei es in Bezug auf Geld, Karriere oder Frauen.
Nicht immer, aber oft werden dabei Grenzen zu toxischer Männlichkeit und zu Frauenfeindlichkeit überschritten.
Sigma-Männer werden generell als Einzelkämpfer dargestellt. Sie brauchen niemanden ausser sich selbst. Was andere über sie denken, ist ihnen egal. Entsprechend richten sie sich einzig an ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen aus. Ein Sigma-Mann setzt sich immer an die erste Stelle und in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Gesellschaftliche Normen interessieren ihn nicht. Er lebt nach seinen eigenen Vorstellungen und Regeln.
Und von wegen Regeln: Um es in die Liga der (äusserst raren) Sigma-Männer zu schaffen, muss jemand, so heisst es in Posts und Videos, die zum Teil zigtausend- und millionenfach angeklickt werden...
- immer diszipliniert sein
- seine Emotionen unter Kontrolle halten
- seinen Körper stählen
- Menschen manipulieren
- Frauen nicht nachrennen (sie sollen kommen)
- sich nicht darum kümmern, was andere sagen
- nichts erwarten
- aufhören, zu nett zu sein
- immer auf seine Ziele fokussiert bleiben
- sich rächen
- nur sich selbst vertrauen
Die Beispiele sind aus verschiedenen Quellen, die ich hier absichtlich nicht nenne, weil ich den Kanälen keine Plattform geben möchte. In einigen Blogs wird es unverhohlen frauenverachtend: «Man muss in die Beziehung eine bittere, schmerzhafte Note einbringen. Ein Beispiel: Man lockt mit konzentrierter Aufmerksamkeit, dann macht man eine Kehrtwende und zeigt Desinteresse. Man lässt die Person sich schuldig und unsicher fühlen. Man setzt die Person Einsamkeit und Schmerz aus, indem man z.B einen Streit anzettelt oder eine Trennung anspricht. So bekommt man Handlungsspielraum. Wenn man nach der Versöhnung wieder freundlich und liebevoll ist, wird die Person einem auf den Knien danken.»
Diese sogenannte Push&Pull-Strategie (übersetzt: wegstossen und wieder hinziehen) wird vor allem in der Pick-up-Artist-Szene zelebriert. Dass eine Beziehung auf Vertrauen basieren sollte, ist hier nicht angekommen.
Solche Plattformen finden ihr Publikum, weil wir unsere Jungen im Prozess des Mann-Werdens ziemlich allein lassen.
Markus Theunert, männer.ch