Kitas als bildschirmfreier Raum?

| Bettina Bichsel

So faszinierend Tablet, Handy & Co. schon für Kleinkinder sind, so gern wollen Kita-Mitarbeitende und Eltern die Kitas möglichst frei von digitalen Medien halten. Das zeigt eine neue Schweizer Studie. Aber ist das realistisch? Und gibt’s nicht auch einen guten Weg mit Medien?

Die Eltern zeigen Fotos auf dem Handy, Oma und Opa melden sich per Videocall aus den Ferien und die grosse Schwester darf auf dem Tablet ein lustiges Game spielen: Medienmomente sind schon von klein auf ganz alltäglich.

Auch vor den Kitas macht diese Lebensrealität nicht Halt. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Kleinen von sich aus gern und oft über ihre Medienerlebnisse und → Medienheld*innen erzählen.

Kinder werden heute von digitalen Medien überflutet. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Kindertagesstätte so weit wie möglich davon entfernt bleibt.

Zitat einer Fachperson aus der MEKiSmini-Studie

Trotzdem – oder besser gesagt gerade deshalb – herrscht in Schweizer Kitas über alle Sprachregionen hinweg dieselbe Ansicht: Wenn die Kleinen doch schon zu Hause vor dem Bildschirm sind, sollen sie hier anderes erleben und nicht auch noch mit Tablets oder Handys zu tun haben. Zu diesem eindeutigen und einheitlichen Schluss kommt die → MEKiSmini-Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz, basierend auf einer Online-Befragung von rund 470 Fachpersonen aus über 300 Tagesstätten und etwas mehr als 100 Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten.

Lieber im Matsch spielen und auf Bäume klettern

Die Haltung der Mitarbeitenden sowie der Kita-Leitenden geht immer in eine ähnliche Richtung: Kita-Kinder seien zu klein und Kitas nicht der richtige Ort für Bildschirmmedien. Oder eben, wie eine Fachperson festhält: «Kinder werden heute von digitalen Medien überflutet. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Kindertagesstätte so weit wie möglich davon entfernt bleibt und sich auf die Grundlagen der Kinder konzentriert, die für ihre Entwicklung viel wichtiger sind.»

Schliesslich, auch darin ist man sich einig, gibt es so viel anderes, was die Kinder machen und erleben können: «Auf Bäume klettern, mit Matsch spielen, viel Experimentieren mit verschiedensten Materialien, singen, tanzen, Geschichten erzählen oder Bilderbücher anschauen, zählen, wiegen, kochen, backen, Neues entdecken.» Die Liste liesse sich noch endlos fortsetzen. Wer braucht da schon Digitales?
 

Grosse Vorbehalte bei Eltern

Genauso sehen das die Eltern und anderen Erziehungsberechtigten: Musikanlagen und digitale Hörbücher mögen aus ihrer Sicht noch sinnvoll sein. Schon bei digitalen Bilderbüchern, Lese- und Spielstiften bröckelt die Zustimmung aber gewaltig. Und besonders Bildschirmmedien wie Tablets oder Computer wollen die meisten nicht in Kitas wissen – zumindest nicht als Beschäftigung für ihre Kinder.

Die Studie zeigt allerdings auch, dass bei der Frage, ob digitale Medien in Kitas zum Einsatz kommen sollen, der Aspekt des Medienkonsums im Vordergrund steht. Die meisten haben offenbar gleich das Bild vor Augen, dass die Kinder dann vor dem Tablet sitzen und sich berieseln lassen, etwas spielen oder anschauen.

Der Einsatz digitaler Medien wird oft als Konkurrenz zu Naturerfahrungen gesehen, aber das muss nicht sein.

Monika Luginbühl, Dozentin für Sozial- und Medienpädagogik

Und wenn’s kreativ wird?

Aber ist das wirklich der einzige Weg? Gibt’s nicht noch andere Möglichkeiten, digitale Medien mit unseren Kleinsten einzusetzen?

Monika Luginbühl, eine der Autorinnen der Studie und Dozentin für Sozial- und Medienpädagogik, ist überzeugt: «Der Einsatz digitaler Medien wird oft als Konkurrenz zu Naturerfahrungen gesehen, aber das muss nicht sein. Medien unterstützen das, was immer gemacht wurde.»

Und auch die MEKiSmini-Studie legt nahe: Wenn der Blick auf → kreative und → pädagogische Einsatzmöglichkeiten gerichtet wird, sind die Vorbehalte der Kita-Fachpersonen und der Eltern nicht mehr ganz so gross. Denn, so machen andere wissenschaftliche Untersuchungen (z.B. Marsh et al. 2021) deutlich: Digitale Medien – richtig eingesetzt – können die Entwicklung von Kreativität, Sprache und Spielverhalten durchaus positiv beeinflussen.

Damit werden die Kitas nicht nur der Tatsache unserer digitalisierten Welt gerecht. Für Corinne Reber, auch sie Teil des wissenschaftlichen Teams von MEKiS und Dozentin für Medienpädagogik, ist noch ein weiterer Aspekt von Bedeutung: «Nicht alle Kinder haben denselben Zugang zu digitalen Medien. Und nicht alle Eltern haben die gleichen Möglichkeiten, ihre Kinder bei der Mediennutzung zu begleiten, kreative und lernbezogene Anwendungen anzuregen und sie vor Risiken zu schützen. Diese Kluft gilt es zu schliessen, und darum spielen Kitas eine wichtige Rolle.»
 

Neue Lern- und Erfahrungswelten

Dass der Umgang mit Medien in erster Linie Sache der Erziehungsberechtigten ist und bleiben soll, darin waren sich Fachleute und Eltern in der Befragung einig. Mitarbeitende in den Kitas können aber dazu beitragen, einen bildungsbezogenen (statt konsumorientierten) Zugang zu digitalen Medien zu fördern.

Der Grundsatz Lieber real als digital bleibt nicht weniger wichtig – und zugleich eröffnen sich den Kindern neue Lern- und Erfahrungswelten. Werden sie pädagogisch an die Hand genommen, können sie kreativ-gestaltend mit den Medien umgehen, können experimentieren, erforschen und lernen auf eine spielerische Art und Weise.

Bisher kaum medienpädagogische Konzepte

Um digitale Medien sinnvoll in Kitas einzusetzen, braucht es eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema – und entsprechende Weiterbildungsangebote für Fachpersonen. Denn solche bestehen aus Sicht der Studienautor*innen in der Schweiz bisher kaum.

Eine gute Möglichkeit, sich im Team mit Fragen rund um digitale Medien auseinanderzusetzen, bietet die Erarbeitung eines medienpädagogischen Konzepts. Aufgrund der Befragung im Rahmen der Studie ist davon auszugehen, dass bisher nur die wenigsten Kitas über eine konkrete Strategie verfügen. Die Autor*innen regen jedoch an, sich diesbezüglich Gedanken zu machen: «Institutionsinterne Konzepte dienen als Grundlage und Orientierung für die Mitarbeiter:innen und machen nach aussen die Position der Kita zum Thema digitale Medien in der frühen Kindheit sichtbar.»

Dass im Team die Haltungen vielleicht auseinandergehen, ist kein Hindernis: Einerseits ergeben sich auf dieser Grundlage spannende Diskussionen. Und andererseits können dennoch Grundsätze ausgearbeitet werden, in welcher Form digitale Medien eingesetzt werden sollen und welche Geräte dafür nötig sind.

Denn, wie es eine Fachperson in der Befragung auf den Punkt bringt: «Egal, ob wir es gut finden oder nicht, digitale Medien sind Teil der Kindheit und dies können wir nicht ignorieren.»

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Weitere Tipps und Anregungen zum Thema digitale Medien in Kitas finden Sie in unserer Rubrik → Kinderbetreuung sowie unter:

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.