Life Coaches: das grosse Versprechen

| Bettina Bichsel

Ein Leben auf der Überholspur, in der besten Version deiner selbst. Life Coaches füllen Hallen und YouTube-Kanäle. Auf Instagram vermitteln sie dir tagtäglich, was du noch an dir und deinem Leben verbessern kannst. Wieso gerade junge Menschen anfällig sind für solche Glücksverheissungen. Und wieso die Versprechen mit Vorsicht zu geniessen sind.

Zugegeben, es klingt fantastisch. Wer wünscht sich nicht:

> ein «aussergewöhnlich glückliches, erfülltes und erfolgreiches Leben» zu führen;

> die «Transformation zum Schmetterling» zu durchlaufen;

> das eigene «Wunscheinkommen zu erschaffen»;

> sich selbst «vollkommen zum Ausdruck» zu bringen;

> «wahres Glück und innere Zufriedenheit» zu erfahren;

> «nie wieder Geldsorgen» zu haben, weil das «Geld entspannt zu dir fliessen» wird?


Wenn ich mich durch die Webauftritte bekannter Life Coaches klicke, kommt mir unweigerlich Pippi Langstrumpf in den Sinn:

2 x 3 macht 4
Widdewiddewitt und drei macht Neune!
Ich mach' mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt...

Nur eine Frage der Einstellung?

Um eines klarzustellen: Ich möchte nicht Coaching schlechtreden. Auf gar keinen Fall. Ich selbst habe wertvolle Coachingprozesse durchlaufen, mit denen ich Blockaden lösen und Veränderungen zum Positiven anstossen konnte. Eine Coachingausbildung hat mich nicht nur persönlich weitergebracht, sondern mir auch Methoden an die Hand gegeben, die ich in meiner Arbeit aus tiefster Überzeugung einsetze. Neben meiner journalistischen Tätigkeit gebe ich Seminare und begleite Menschen – ehrenamtlich und hauptberuflich – durch Krisen, in ihrer Trauer und auf ihrem letzten Weg.

Vielleicht ist gerade das mit ein Grund, weshalb ich gewisse Entwicklungen in der Coaching-Szene höchst skeptisch mitverfolge. Da werden Versprechungen gemacht, die weismachen wollen:

Du brauchst nur das Mindset, also die richtige Einstellung, dann wird das schon, mit dem geilen Leben!

Dann ziehst du Glück und Erfolg in allen Lebensbereichen automatisch an – und zwar mit Leichtigkeit. Du tänzelst quasi in Ronaldo-Manier über das Spielfeld deines Lebens und schiesst ein Traumtor nach dem andern.

Wie toll!

Massenveranstaltungen und kostspielige Angebote

Für Menschen, bei denen es gerade nicht so rund läuft – ob in der Schule, im Job, in Beziehungsfragen oder gesundheitlich – klingt das wie der heilige Gral. Und junge Menschen, die von der Frage angetrieben werden, wer sie sind und wer sie sein wollen, fühlen sich womöglich besonders angesprochen. Sie suchen ja nach Vorbildern und klicken sich begeistert durch die perfekt inszenierten Social-Media-Beiträge der Life Coaches. Hier wird ihnen ein Leben präsentiert, das sie sich für sich selbst genauso wünschen.

Also hin zum Life-Event mit 300 anderen Teilnehmenden. Und weil ich mich durch das Erlebnis und die schlagkräftigen Botschaften so inspiriert und energiegeladen fühle, unterschreibe ich danach gleich eine Mitgliedschaft. Denn nur so erhalte ich Zugang zu exklusiven Tipps, Online-Videos, e-Books oder anderen Zückerchen. Das ultimative Coaching-Paket (die jeweiligen Bezeichnungen lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um ein Angebot handelt, das mein Leben verändern wird) scheint mir zwar etwas teuer. Aber auf der Webseite schreiben so viele sympathische Menschen, dass einzig die Inhalte von diesem Angebot all ihre Probleme gelöst haben und sie sich gewünscht hätten, so was schon früher zu finden. Wenn so viele das schreiben, muss doch etwas dran sein…

Bei selbsternannten oder in Schnellbleichen ausgebildeten Coaches besteht ein hohes Risiko, dass ihnen wichtige Kompetenzen und notwendiges Sensorium fehlen.

Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (BSO)

Coach: kein geschützter Berufstitel

Nur: Sind die ganzen Versprechen und Beteuerungen vielleicht doch ein bisschen zu schön, um wahr zu sein?

Auch Coachingverbände, die sich um Qualitätsstandards und einen ethischen Kodex im überbordenden und entsprechend unübersichtlichen Coachingmarkt bemühen, sehen die Entwicklungen kritisch. Mit ein Grund dafür ist, dass «Coach» keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Im Grunde kann also jede und jeder, der*die sich dazu befähigt fühlt, Coach nennen und als solche*r tätig werden.

Der Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (BSO) hält in einer Stellungnahme fest: «Was wir für gefährlich halten, ist, wenn sich Beratungspersonen in Crash-Kursen bestimmte (trendige) Methoden aneignen, die sie dann an Klient*innen anwenden, ohne dass sie ihre Arbeit in einen grösseren Kontext stellen können. Bei selbsternannten oder in Schnellbleichen ausgebildeten Coaches besteht ein hohes Risiko, dass ihnen wichtige Kompetenzen und notwendiges Sensorium fehlen.»

Ein solches Sensorium ist wichtig, um einschätzen zu können, ob jemand in einem Coaching gut aufgehoben ist oder ob nicht doch ein therapeutisches Angebot angezeigt wäre. Um Anzeichen zu erkennen, die auf eine psychische Erkrankung hindeuten, und sich die eigenen Grenzen einzugestehen, braucht es eine fundierte Ausbildung, Kenntnisse der menschlichen Entwicklung und sytsemischen Zusammenhänge, Erfahrung sowie eine gesunde Einschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Einfache Lösungen gibt es leider selten

Und wie lassen sich nun seriöse Angebote von unseriösen unterscheiden? Hans-Ueli Schlumpf, Vorstandsmitglied beim BSO rät zur Vorsicht bei «marktschreierischen Auftritten, die raschen Erfolg oder das grosse Glück versprechen», aber auch, wenn sich Coaches als Expertin*innen «ins Zentrum des Geschehens stellen und für eigentlich komplexe Probleme vermeintlich einfache Lösungen anbieten».

Kriterien für seriöse Angebote können sein:

  • eine umfassende Ausbildung (mind. 2,5 Jahre) an einem anerkannten Ausbildungsinstitut sowie kontinuierliche Weiterbildungen
  • die Mitgliedschaft bei einem Berufsverband
  • die persönliche Erfahrung in dem Bereich der angebotenen Hilfe, d.h. bei Life-Coaching etwa ein erfolgreicher Umgang mit Brüchen und Krisen
  • ein klares Konzept und transparent dargestellte Methoden, die zur Anwendung kommen
  • die Arbeit an realistischen, individuellen Zielen, aber keine «grossen» Versprechungen für konkrete Resultate


Hans-Ueli Schlumpf erklärt zudem: «Obwohl sich Klientinnen und Klienten das manchmal durchaus wünschen, entspricht es nicht unserem Verständnis, dass Coaches oder Beratungspersonen sagen, was ihrer Meinung nach das Beste wäre oder was sie tun sollten.»

Aufgabe eines Coaches ist es, die Menschen, die zu ihnen kommen, in dem Problemlösungsprozess zu unterstützen. Durch Fragestellungen und Methoden erarbeiten die Klientinnen und Klienten für sich Strategien, um ihre Ziele zu erreichen und mit herausfordernden Situationen umzugehen.

Tipp für Eltern

Wenn Sie als Eltern das Gefühl haben, Ihr Kind lässt sich von zweifelhaften Life-Coaches blenden, gehen Sie ins Gespräch. Lassen Sie sich erklären, was Ihr Kind an der Person toll findet und was es sich für sich selbst und das eigene Leben wünscht. Klären Sie aber auch über Marketing- und Verkaufsstrategien auf und teilen Sie mit, weshalb Sie skeptisch sind. Vielleicht können Sie gemeinsam nach alternativen Angeboten suchen und Kriterien aufstellen, die erfüllt sein sollten. Und nicht zuletzt braucht es für ein gutes Gefühl einen persönlichen Eindruck. Anstatt also einfach online ein Angebot zu buchen, empfiehlt Hans-Ueli Schlumpf, «mindestens zwei bis drei Erstgespräche zu führen, bevor man sich entscheidet».

 

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.