Medienkompetenz: wichtiger denn je

| Bettina Bichsel

Erst X, dann Instagram und Facebook, vielleicht bald YouTube: In den USA sorgen die grossen Social-Media-Plattformen nicht mehr dafür, dass Inhalte von unabhängigen Faktencheckern geprüft werden. Auch wenn in Europa noch andere Regeln gelten, ist eines klar: Medienkompetenz ist wichtiger denn je.

Es war eine fadenscheinige Begründung, auf die Mark Zuckerberg, Chef von Meta und damit verantwortlich für Instagram und Facebook, seine Ankündigung stützte: Zu viel Zensur und zu wenig freie Meinungsäusserung seien die Folgen des Faktencheck-Programmes. In der von Meta veröffentlichten Mitteilung stand ausserdem, dass es nun mal dazu gehöre, dass «Gutes, Schlechtes und Hässliches» gepostet werde. Das sei schliesslich Meinungsfreiheit.

Aber genau das ist es eben nicht! Das bewusste Verbreiten von Unwahrheiten, diskriminierende Äusserungen und das Schüren von Hass haben nichts mit Meinungsfreiheit zu tun!

Noch weht der neue Wind erst in den USA. In der EU, in deren Fahrwasser sich die Schweiz in Bezug auf die Social-Media-Plattformen bewegt, gelten strengere Regeln. Seinen Missmut gegen diese Vorschriften verbirgt Zuckerberg allerdings nicht. Es kann also durchaus sein, dass der Wind irgendwann auch in unsere Richtung dreht.

Auch in der Schweiz sollte sich niemand darauf verlassen, dass die Bemühungen der Plattform-Betreiber genügend greifen.

Ziehen sich die Konzerne aus der Verantwortung?

Konkret bedeuten die Änderungen, dass Meta in den USA nicht mehr mit Nachrichtenagenturen wie AP oder Reuters zusammenarbeitet, die das Faktenchecking bisher als externe Stellen übernommen hatten. Stattdessen folgt Zuckerberg dem Vorgehen von Elon Musk, der auf X bereits das System der sogenannten »Community Notes« eingeführt hat. Das heisst: Wer als Nutzerin oder Nutzer einen Beitrag für falsch, ungenau oder irreführend hält, kann eine entsprechende Anmerkung dazu machen (sofern er/sie dafür zugelassen ist). Diese wiederum können von weiteren User*innen bewertet werden.

Damit die Anmerkungen (Notes) auch veröffentlicht werden, sind zwei Dinge nötig: Erstens müssen genügend User*innen sie als hilfreich einstufen. Und zweitens soll die Zustimmung möglichst breit sein, also von User*innen mit unterschiedlichen Perspektiven.

Der Vorwurf, dass sich die Social-Media-Riesen damit aus der Verantwortung stehlen, ist berechtigt – und greift dennoch zu kurz. Denn auch wenn im europäischen Raum vorerst wie gesagt alles beim Alten bleibt (das Faktenchecking übernehmen Agenturen wie die deutsche dpa oder die französische AFP), ist klar:

  • Selbst Faktenchecker können niemals sämtliche Inhalte, die im digitalen Raum verbreitet werden, auf ihren Wahrheitsgehalt oder auf Diskriminierung, Hass und Hetze prüfen.
  • Kein technisches System, das sich auf Algorithmen und Automatisierungen stützt, ist frei von Fehlern.
  • Zwar gelten strengere rechtliche Grundlagen (auch in der Schweiz), unter anderem durch den Digital Services Act (DSA). Das Problem ist aber auch, dass Gerichtsverfahren bei Beschwerden gegen Beleidigungen oder Verleumdungen meist langwierig und unter Umständen mit hohen Kosten verbunden sind. Es bräuchte also auch hier Verbesserungen

Trainieren Sie gemeinsam, werden Sie selbst zu Faktencheckern.

Kinder und Jugendliche brauchen Faktencheck-Strategien

Sicher ist eines: Auch in der Schweiz sollte sich niemand darauf verlassen, dass die Bemühungen der Plattform-Betreiber genügend greifen. Medienkompetenz beziehungsweise die eigene Urteilsfähigkeit sind wichtiger denn je. Gerade Kinder und Jugendliche brauchen griffige Strategien, die ihnen helfen, Unwahrheiten zu erkennen.

Aber wie können solche Strategien aussehen? Zunächst: Ja, es ist nicht immer einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dennoch gibt es einige Anhaltspunkte, die auf Falschnachrichten hinweisen. Hier sind ein paar Beispiele:

Reisserische Schlagzeilen
z.B. «Dieses Lebensmittel heilt Krebs»

Emotionale Sprache
Wenn wir beim obengenannten Beispiel bleiben, dann muss der Beitrag «Dieses Lebensmittel heilt Krebs» natürlich unbedingt geteilt werden, «um Leben zu retten»

Fehlende, vage oder gefälschte Quellen
Oft wird Bezug genommen auf Studien, ohne diese klar zu benennen oder zu verlinken. Oder eine offizielle Stelle wird als angebliche Quelle genannt. Wenn man genauer hinschaut (das heisst die Studien sucht oder die Website der genannten Stelle aufruft), stellt sich heraus, dass dazu nichts veröffentlicht wurde.

Manipulierte Bilder/Videos
Wer schon mal mit Photoshop oder mit den immer besser werdenden KI-Tools gearbeitet hat, weiss, wie leicht Bild- und Videomaterial verändert werden kann. Dann tauchen Pinguine plötzlich in der Wüste auf. Oder der Papst wird zum Fashion-Victim.

Tipps für einen kritischen Umgang mit digitalen Inhalten

Ein tolles Foto, ein spannendes Video, eine professionell aussehende Nachricht oder ein Post, der von vielen geteilt wird – all das kann leicht in die Irre führen. Ganz allgemein sollten Kinder und Jugendliche lernen, Inhalten nicht blind zu vertrauen, sondern kritisch zu hinterfragen. Und immer wieder gilt: Interessieren Sie sich als Eltern für das, was Ihr Kind interessiert. Seien Sie da, wenn Fragen und Unsicherheiten auftauchen.

Und trainieren Sie am besten gemeinsam! Wenn Sie sich die Zeit nehmen, mit Ihren Kindern Instagram, TikTok oder eine andere Plattform zu durchforsten, finden Sie bestimmt Beispiele, um selbst zu Faktencheckern zu werden. Orientieren Sie sich dabei an folgenden Faustregeln:

  1. Quellen-Check: Woher stammt die Information? Ist die Quelle vertrauenswürdig?
  2. Double-Check der Fakten: Wenn mehrere unabhängige Medien dasselbe berichten, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Information korrekt ist.
  3. Motiv-Check: Warum wird die Information verbreitet? Welche Absicht steckt dahinter?
  4. Bilder-Check: Mit der Bilder-Rückwärtssuche von Google lässt sich verfolgen, wo überall (und in welchem Kontext) ein Foto bereits veröffentlicht wurde.


Gerade wenn es darum geht, einen kritischen Umgang mit digitalen Inhalten zu lernen, brauchen Kinder und Jugendliche die Unterstützung von Erwachsenen. Sie mögen ganz selbstverständlich mit digitalen Geräten gross werden. Zu beurteilen, ob etwas wahr ist, gehört für sie aber mit zum Schwierigsten. Und wir Erwachsenen hinken zwar vielleicht bei den neuesten App- und Game-Trends oder bei technischen Fragen hinterher. Dafür verfügen wir über Lebenserfahrung und Wissen, das unseren Kindern fehlt noch.

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.