Sexting: Jugendliche nicht unnötig kriminalisieren

| Bettina Bichsel

Am 1. Juli 2024 trat das neue Sexualstrafrecht in Kraft. Die Neuerungen sind auch für Jugendliche wichtig, z.B. wenn es um das Versenden erotischer Selfies, also das sogenannte Sexting, geht.

Schlagzeilen macht das neue Sexualstrafrecht vor allem wegen des neu geltenden Grundsatzes «Nein heisst Nein». Dieser Grundsatz soll Opfer von sexueller Gewalt besser schützen. Das «Nein» wird breit verstanden: Es muss nicht ausgesprochen werden, auch ablehnende Gesten oder der Schockzustand eines Opfers bedeuten ein Nein. Zudem wird der Tatbestand der Vergewaltigung wesentlich weiter gefasst als dies bisher der Fall war.

Weniger bekannt sind die Neuerungen in Bezug auf das sogenannte Sexting, das gerade auch unter Jugendlichen zunehmend zu beobachten ist: Damit ist gemeint, dass sich Jugendliche nackt oder in Unterwäsche fotografieren/filmen und diese Selfies dann verschicken. Das kann als Liebesbeweis in einer Beziehung sein oder um mit jemandem zu flirten. Es kann aber auch innerhalb von Gruppen geschehen, als Mutprobe zum Beispiel.

Selbst wenn diese Bilder/Videos freiwillig und einvernehmlich aufgenommen und getauscht wurden, konnten sich Jugendliche bisher strafbar machen. Dann nämlich, wenn die abgebildete Person noch nicht 16 war. Wenn die Aufnahmen als pornografisch gesehen werden konnten, galten sie als Kinderpornografie – und diese darf weder hergestellt noch weiterverbreitet werden.

Waren die Beteiligten 16 oder 17 Jahre alt, galt zwar eine Ausnahmeregelung. Diese führte allerdings mitunter zu absurden Fällen, wie Reto Liniger vom Bundesamt für Justiz erklärt: «Wenn zwei Jugendliche 16 und 17 Jahre waren und pornografische Bilder oder Videos von einander machten, blieben sie straflos. Sobald aber der oder die Ältere 18 wurde, handelte es sich plötzlich um etwas Strafbares, weil die jüngere Person ja nach wie vor minderjährig war.»

Und noch ein zweites ungewolltes Problem tauchte auf: Minderjährige, die eigentlich durch das Gesetz geschützt werden sollen, konnten sich mit eigenen Nacktbildern plötzlich strafbar machen, wenn sie gemäss Gesetz Kinderpornografie produzierten.

Was ändert sich mit dem neuen Gesetz?

Das neue Sexualstrafrecht trägt diesen Umständen Rechnung und erweitert den straffreien Rahmen. Unter anderem orientiert sich das Gesetz an den Altersregelungen, die für einvernehmlichen Sex (unter Jugendlichen) gelten.

Das heisst konkret (Art. 197, Abs. 8bis StGB), dass sich Minderjährige, die freizügige (bzw. als pornografisch eingestufte) Selfies austauschen, nicht mehr strafbar machen, wenn Folgendes gegeben ist:

  • Die beiden kennen sich persönlich (also nicht nur über Social Media oder eine Dating-Plattform).
  • Der Altersunterschied beträgt nicht mehr als drei Jahre.
  • Der Austausch der Aufnahmen ist freiwillig und einvernehmlich.
  • Die Aufnahmen werden nicht gegen Geld gesendet bzw. es wird kein Geld dafür versprochen.

Nie Nacktfotos ungefragt versenden oder weiterleiten

Strafbar machen können sich Minderjährige aber nach wie vor. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sie anderen pornografische Aufnahmen ungefragt bzw. ohne eine Einwilligung schicken. Wenn also ein 17-Jähriger einem Mädchen einfach ein Dick-Pic schickt, ohne dass sie das möchte, oder wenn er ein pornografisches Selfie im Klassenchat teilt, kann er dafür belangt werden. Denn, wie die zuständige Ständeratskommission in ihrem Bericht zum neuen Recht festhielt, soll «niemand ungefragt mit pornografischen Bildern oder Filmen konfrontiert werden».

Und auch ein 19-Jähriger, der von seiner 15-jährigen Freundin ein Nacktfoto erhält, kann sich weiterhin strafbar machen, selbst wenn sie es ihm aus freien Stücken geschickt hat. Hier sind die Volljährigkeit und der Altersunterschied von mehr als drei Jahren ausschlaggebend. Erst wenn beide volljährig sind, spielt der Altersunterschied keine Rolle mehr.

In jedem Fall bleibt die Entscheidungshoheit, ob etwas strafbar ist oder nicht, aber letztlich beim Gericht.

Rache-Pornos: neue gesetzliche Grundlage

Mit einer neuen Strafnorm (Art 197a StGB «Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten») sollen Opfer von sogenannten Rache-Pornos (im Englischen spricht man von Revenge Porn) besser geschützt werden. Typischerweise geht es dabei um Aufnahmen, die ursprünglich einvernehmlich in einer Beziehung gemacht wurden und die nach der Trennung von einem*er Partner*in veröffentlicht werden (eben aus Rache).

Zudem sind andere Delikte im Zusammenhang mit erotischen/pornografischen Aufnahmen bereits strafbar, auch wenn sie nicht explizit im Gesetz verankert sind. Dazu gehören:

  • Cybergrooming: Wenn Erwachsene im Internet mit sexueller Absicht Kontakt zu Kindern suchen.
  • Sextortion: Erpressung mit freizügigem Bildmaterial oder Nötigung, weitere derartige Aufnahmen herauszugeben.


Laut Reto Liniger reichen die bisher geltenden gesetzlichen Bestimmungen sowie – in Bezug auf Sextortion – die neue Regelung in Artikel 197a StGB aus, um entsprechende Taten zu ahnden.

Tipps für Eltern

Etwas Wichtiges zum Schluss: Das neue Sexualstrafrecht bringt zahlreiche Verbesserungen und führt insbesondere dazu, dass Jugendliche nicht unnötig kriminalisiert (und damit stigmatisiert) werden. Dennoch ist mit freizügigen Selfies und Videos immer Vorsicht geboten. Das sollten Sie auch Ihren Kindern klar machen. Denn:

  • Auch wenn eine Aufnahme nur für den privaten Gebrauch und für eine bestimmte Person gedacht ist, besteht immer die Gefahr, dass sie an andere weitergeleitet oder im Netz veröffentlicht wird.
  • Wer sexy/erotisch sein möchte, muss sich nicht nackt zeigen. Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Erotik und Schönheitsideale.
  • Ganz grundsätzlich sollte man nie erkennbar sein auf einem Nacktfoto. Das Gesicht sollte also nicht sichtbar sein und auch sonst sollten keine Rückschlüsse auf die eigene Person gemacht werden können.

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Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.