Ein Vater der mit seinem Sohn auf dem Sofa sitzt und am Videospiele spielen ist.

Es geht beim Gamen nicht nur ums Spielen

Fortnite, Minecraft, Call of Duty, League of Legends – die Welt der Video- und Onlinespiele ist grenzenlos und jeden Tag kommen neue auf den Markt. Kein Wunder, verlieren wir als Eltern schnell den Überblick – und, Hand aufs Herz, nicht selten auch das Interesse oder die Geduld.

Ob auf dem Handy, mit der Konsole oder am PC – Videospiele faszinieren. Nicht nur, aber gerade Kinder und Jugendliche tauchen gerne in virtuelle Welten ab, kämpfen gegen Monster und andere Feinde, liefern sich Duelle im Ring, auf den Strassen oder auf dem Fussballplatz, schlagen sich durch unwirtliche Zukunftsszenarien, bauen Imperien auf, lösen knifflige Rätsel und erkunden bunte Abenteuerlandschaften.

Fortnite, Minecraft, Animal Crossing, Cyberpunk, Call of Duty, League of Legends – die Welt der Video- und Onlinespiele ist grenzenlos und jeden Tag kommen neue auf den Markt. Kein Wunder, verlieren wir als Eltern schnell den Überblick – und, Hand aufs Herz, nicht selten auch das Interesse oder die Geduld.

Familienkonflikte drehen sich oft um Videospiele

In China ist den staatlichen Behörden vor Kurzem der Geduldsfaden gerissen. Gemäss neuer Vorschriften sollen Minderjährige nur noch maximal drei Stunden pro Woche gamen dürfen, jeweils eine Stunde von Freitag bis Sonntag. Strikte Registrierungsvoraussetzungen und Gesichtserkennung machen es möglich, diese Vorgaben auch zu überwachen – und führen bereits bei Minderjährigen zu einer verstärkten Überwachung.

Hierzulande ist es selbstverständlich noch den Eltern überlassen, welche Spielregeln sie für ihre Kinder aufstellen. Dass das Thema Gaming aber für viele Familien schwierig ist, diese Erfahrung macht auch der Lausanner Psychologe und Spieleexperte Niels Weber. Seiner Meinung nach geht es dabei oft um Wertekonflikte: «Videospiele beinhalten meistens nicht die Werte, die Eltern ihren Kindern gerne vermitteln möchten. Sie sehen Games als nicht konstruktiv – als Zeitvergeudung, bei der man nichts lernt. Und so fällt es den Eltern schwer, das Spielfieber ihrer Kinder zu verstehen.» Oder überhaupt Verständnis für das Spielfieber aufzubringen. 

Lassen Sie sich anstecken

Zugegeben, es ist schwierig, Interesse für etwas aufzubringen, das man so gar nicht nachvollziehen kann. Erwachsene, die selber nicht gamen und auch in ihrer Jugend nicht gegamt haben, können die Begeisterung ihrer Kinder nicht wirklich verstehen. Entsprechend schwierig ist es, ins Gespräch zu kommen.

Und doch ist genau das wichtig: Ins Gespräch kommen und die Heranwachsenden bei ihrer Begeisterung abholen. Wenn Niels Weber nämlich in Schulen geht und Schüler*innen befragt, dann sagen sie auch immer, dass sie sich mehr Interesse von ihren Eltern und einen besseren Austausch mit ihnen über ihre Lieblingsspiele wünschen würden. Nur etwas mögen sie nicht: 

Jugendliche wollen sich nicht von Erwachsenen belehren lassen. Sie möchten darüber sprechen, was ihnen an einem Spiel gefällt. 

Niels Weber

Und manchmal schwingt auch Angst mit, das Thema anzusprechen, von dem sie spüren, dass es den Eltern ein Dorn im Auge ist. Angst, bestraft zu werden oder zumindest auf Unverständnis und Abneigung zu stossen.

Versuchen Sie deshalb, eine offene Haltung einzunehmen. Zeigen Sie ehrliches Interesse, spielen Sie mal mit und stellen Sie Fragen, um herauszufinden, was genau Ihrem Kind an dem Spiel gefällt. So schaffen Sie einerseits eine Verbindung, die dazu führen kann, dass sich Ihr Kind Ihnen anvertraut, wenn es etwas Negatives erlebt. Und andererseits auch eine neue Basis, wenn es darum geht, Regeln zu vereinbaren. Wenn man plötzlich weiss, dass eine Partie Fortnite etwa 20 Minuten in Anspruch nimmt, kann man zum Beispiel eine Zeitlimite von einer Stunde festlegen. Das ermöglicht es immerhin, drei Runden zu spielen.

Gamen ist ein Lernfeld – über das Spielerische hinaus

Ausserdem sollten Sie nicht vergessen, dass Sie als Erwachsene Ihr Kind bei Dingen unterstützen können, die über das rein technische Können hinausgehen. Auch wenn sich die Jugendlichen auf der technischen Ebene gut auskennen, gibt es noch weitere Fähigkeiten, die sie entwickeln müssen, z. B. den Umgang mit Emotionen.

Denn beim Spielen tauchen Emotionen auf – positive wie negative. Und wenn man aufhören muss, obwohl man gerade einen Run hat, ist Frustration vorprogrammiert. Auch hier sind Gespräche wichtig, um diese Gefühlsregungen aufzufangen, aber auch um zu zeigen, dass es manchmal andere Dinge zu tun gibt, dass es wichtig ist, Prioritäten zu setzen.

So lernen Kinder und Jugendliche einen sinnvollen Umgang mit Games. Oder, wie es Niels Weber formuliert: 

Gamen ist kein Recht, sondern ein Privileg.

Und das sagt einer, der selbst leidenschaftlicher Gamer ist. Aus diesem Grund hat sich Niels Weber in seinen psychologischen Beratungen auf das Thema Hyperkonnektivität spezialisiert. Den Begriff Online- oder Videospielsucht verwendet er bewusst nicht: 

Es ist wirklich wichtig aufzuhören, von Sucht zu sprechen. Es ist keine Suchtproblematik, das Problem liegt anderswo.

Es gilt darum immer, genauer hinzuschauen. Auffälliges Spielverhalten ist ein Symptom, nicht das eigentliche Problem. Erst wenn man versteht, was dahinter steckt, warum also Kinder und Jugendliche sich in exzessivem Gamen verlieren, können Lösungen gefunden werden. Vielleicht geht es einem Kind darum, Zeit mit seinen Freund*innen zu verbringen. Dann können sich die Eltern untereinander abstimmen und nach anderen möglichen Gemeinschaftsaktivitäten suchen. Denn auch die Offline-Welt bietet dafür ausreichend Alternativen.
 

Spielempfehlungen von Niels Weber:

  • Overcooked 1 & 2
  • Heave Ho
  • Pile Up
  • Super Mario 3D World
  • Kena: Bridge of Spirits
  • Monster's expedition
  • El hijo
  • Psychonauts 2
  • Sea of Thieves 
  • Knockout City
  • Fall Guys


Weitere Informationen rund um das Thema und noch mehr Spieltipps für verschiedene Altersgruppen finden Sie in unserer Rubrik → Games

 
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Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.