Künstliche Intelligenz im Schulalltag: Wieso Medienkompetenz immer wichtiger wird

Die künstliche Intelligenz «ChatGPT» soll das Potenzial haben, den Schulalltag auf den Kopf zu stellen. Was ist da dran?

Alexa, Siri & Co. haben bei vielen schon einen festen Platz im Alltag. Und seit einiger Zeit macht ein anderes Produkt künstlicher Intelligenz von sich reden: der sogenannte Chatbot «ChatGPT». Er soll das Potenzial haben, den Schulalltag auf den Kopf zu stellen. Was ist da dran?

Wenn’s um künstliche Intelligenz (KI) geht, bin ich – zumindest gedanklich – irgendwo in der Vergangenheit steckengeblieben. Das Thema assoziiere ich nach wie vor mit irgendeiner fernen Zukunft, auch wenn ich natürlich weiss, dass KI-Software längst in unzähligen Bereichen unseres Lebens zur Anwendung kommt – und ich manches davon sogar selbst nutze.

Es braucht eine vertiefte Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Fragen.

Beat Schwendimann, LCH

KI als Aufgabenhelfer?

Nun ist also «ChatGPT» in aller Munde. Ein System, das Texte (über welches Thema auch immer) so generiert, als ob ein Mensch sie geschrieben hätte. Auf den Markt gebracht wurde es vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI. Es ist nicht zuletzt darum kostenlos nutzbar, weil es eine Testversion ist. Zwar wurde «ChatGPT» im Zuge seiner Entwicklung schon mit unzähligen Daten aus dem Internet sowie mit gesprochenen Informationen gefüttert (dass dies unter ausbeuterischen und diskriminierenden Arbeitsbedingungen für kenianische Angestellte geschehen sein soll, ist ein anderes Thema). Das System lernt aber immer noch dazu bzw. trainiert sich selbst aufgrund des Feedbacks von User*innen, die eine Antwort als gut und dienlich, unpassend oder falsch beurteilen.

In den unterschiedlichsten Bereichen wird seit der Einführung von «ChatGPT» darüber diskutiert, wie das Tool eingesetzt werden kann und zu welchen Veränderungen es führen wird. Besonders im Bildungsbereich werden fundamentale Auswirkungen erwartet. Im Internet kursieren bereits Anleitungen, wie der Bot für Hausaufgaben oder sogar Bachelorarbeiten genutzt werden kann.

Verbote greifen zu kurz

Was bedeutet das für Schulen und Lehrkräfte? Wie sollen sie auf die Entwicklungen reagieren? Sicher ist: «ChatGPT» ist längst nicht das Ende der Fahnenstange. Die Technologien entwickeln sich laufend weiter. Verbote sind entsprechend kaum zielführend. Insbesondere auch deshalb nicht, weil dieselben Anwendungen, die in der Schule plötzlich verboten wären, ja dennoch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und im Berufsleben zum Einsatz kommen. Es braucht also vielmehr ein umfassendes Wissen über «ChatGPT» und andere KI-Tools. Schülerinnen und Schüler müssen nicht nur lernen, wie sie diese Werkzeuge für sich einsetzen können. Sie müssen auch verstehen, wie sie funktionieren und was die Verfügbarkeit solcher Systeme bedeutet.

Damit Lehrkräfte dieses Wissen vermitteln können, müssen sie für das Thema fit gemacht werden. Für Beat Schwendimann, Leiter der Arbeitsgruppe Digitale Transformation in der Schule beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), ist klar: «Es braucht eine vertiefte Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Fragen.» Sinnvoll ist aus seiner Sicht, wenn Schulen dafür sorgen, dieses Fachwissen intern zu etablieren, etwa durch Lehrpersonen mit spezifischer Weiterbildung. Mit ihrer Hilfe können niederschwellige Angebote geschaffen werden, um die Schulleitung sowie Kolleginnen und Kollegen bei digitalen Themen zu unterstützen. Das heisst konkret, dass beispielsweise schulinterne Teamweiterbildungen zum Thema «ChatGPT» stattfinden.

Medienkompetenz fächerübergreifend vermitteln

Entsprechende Modelle gibt es laut Schwendimann bereits an einigen Schulen. Weiterbildungsangebote wie der CAS Pädagogischer ICT-Support der Pädagogischen Hochschule Zürich sind gut besucht bzw. oft ausgebucht. Ausserdem sind digitale Themen, darunter auch KI, Bestandteil der Ausbildung für angehende Lehrerinnen und Lehrer.

Für Schwendimann ist das nicht zuletzt deshalb wichtig, um das eigentliche Ziel des Lehrplans 21 umzusetzen: «Medien und Informatik ist einerseits ein eigenes Modul mit ein bis zwei Stunden pro Woche. Gleichzeitig ist es aber auch ein überfachliches Thema, das in allen anderen Fächern – von den Sprachen und Naturwissenschaften bis hin zu bildnerischem Gestalten und Sport – eingesetzt werden soll. In der Realität ist das noch nicht überall umgesetzt. Da ist auch die Frage, wie kompetent fühlen sich die Lehrkräfte.»

Im Grunde ist es ja nicht intelligent. Es ist einfach eine sehr effiziente Schreibmaschine.

Beat Schwendimann, LCH

«Hinter den Vorhang schauen»

Sind die Voraussetzungen geschaffen, kann dies der Ausgangspunkt für neue Lernaktivitäten sein. Denn, so der Erziehungswissenschaftler, der im Bereich der digitalen Lehr- und Lerntechnologien promovierte: «Anwendungskompetenz, also die Frage, wie ich ein Tool effizient nutze, ist eine Sache. Dazu gehört für die Nutzung von künstlichen Intelligenzen ein fachliches und methodisches Verständnis, um zu wissen, wie ich eine gute Frage formuliere. Darüber hinaus ist aber auch wichtig, hinter den Vorhang zu schauen und ein Grundlagenverständnis zu entwickeln: Was ist ein Algorithmus bzw. im Falle von KI ein lernfähiger Algorithmus? Wie funktioniert er? Was sind seine Möglichkeiten und wo liegen seine Grenzen?»

Bei «ChatGPT» liegen die Probleme vor allem darin, dass das System (selbst auf Nachfrage) keine klaren Quellenangaben liefert und nicht selten schlicht falsche Aussagen trifft. Darauf weist selbst OpenAI auf der Eingangsseite hin. Medienkompetenz bedeutet hier das Wissen darüber, wie ich Fakten überprüfe und welche Quellen vertrauenswürdig sind (mehr zu diesem Thema finden Sie in unserer Rubrik → Fake News & Manipulation).

Eine neue Aufgabenstellung in der Schule könnte also sein, dass Schülerinnen und Schüler unter Anleitung der Lehrperson von «ChatGPT» einen Aufsatz schreiben lassen und dann den Text analysieren: Stimmt das Geschriebene? Wie sind Text- und Satzaufbau? Wie ist das Storytelling?

Denn selbst wenn man «ChatGPT» dazu auffordern kann, seine Antwort menschlicher zu formulieren, und auch wenn Erkennungssoftware nicht zuverlässig unterscheiden kann, ob ein Text nun von einer KI oder von einem Menschen geschrieben wurde, verfügt das künstliche System gemäss Schwendimann über eine Schwäche: «Im Grunde ist es ja nicht intelligent. Es ist einfach eine sehr effiziente Schreibmaschine, die aber nicht weiss, warum sie die Wörter, die sie verwendet, gerade in dieser Form zusammenführt.»

 

KI-Tools werfen aber noch ganz andere Fragen auf. Einige davon und Überlegungen dazu hat Beat Döbeli Honegger von der Pädagogischen Hochschule Schwyz → online zusammengefasst. Denn es geht auch um Chancengleichheit und einen beobachteten Effekt, wonach «gute Schülerinnen und Schüler neue (digitale) Werkzeuge und Medien besser zu ihrem eigenen Nutzen einsetzen können als schlechtere Schülerinnen und Schüler». Solche Entwicklungen sind zu beobachten und mit geeigneten Massnahmen aufzufangen.  

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.