Frau liegt vor einem Schrank unter Kleidern begraben.

«Man kann ja nur schlechter abschneiden»

Ein Blick auf Instagram und es scheint klar: Es gibt sie, die perfekte Familienwelt. Soziale Medien können Eltern ganz schön unter Druck setzen.

Ein Blick auf Instagram und es scheint klar: Es gibt sie, die perfekte Familienwelt. Wieso dann nicht bei mir? Soziale Medien können Eltern ganz schön unter Druck setzen. Viel besser als zu vergleichen ist es, den eigenen Weg durchs Eltern-Dasein zu finden – auch mit allem, was mal schiefgeht.

Plötzlich Familie. Da waren neun Monate, in denen man sich darauf einstimmen und vorbereiten konnte – und dann ist alles doch ganz anders. Chaotisch vor allem, und an allen Ecken und Enden herausfordernd.

Liegt es an mir? Mache ich etwas falsch?

Solche Fragen können schnell auftauchen – nicht zuletzt, wenn ich Social-Media-Kanäle verfolge, auf denen Momfluencerinnen und Dadfluencer alles im Griff zu haben scheinen. Immer perfekt gestylt, die Ruhe weg und scheinbar Zeit für alles: den Haushalt, die Inneneinrichtung, Selbstgemachtes und Znünis in Tierform.

Verunsicherung und Selbstzweifel

Verunsicherte Eltern, die mit Selbstzweifeln hadern, kommen oft zu Saskia Grösser. Sie arbeitet in der Mütter- und Väterberatung des Kantons Bern und beobachtet: «Gerade in der vulnerablen Phase des Übergangs in die Elternschaft kann es sehr herausfordernd sein, ein medial perfekt inszeniertes Leben zu sehen. Man kann ja nur schlechter abschneiden.»

Denn Gründe, an sich zu zweifeln, gibt’s genug:

Das Baby schreit und lässt sich kaum beruhigen.

Stillen funktioniert nicht richtig.

Die Augenringe werden nach jeder Nacht fast ohne Schlaf dunkler.

Der Tag bräuchte 48 Stunden, um alles irgendwie hinzukriegen.

Nach Schwangerschaft und Geburt fühlt sich der Körper einfach nur fremd an.

Obwohl wir als Paar immer gleich schwangen, gehen wir uns plötzlich auf die Nerven.

Und Job und Familie sollte man auch noch unter einen Hut bringen.

Ich muss mein Leben wirklich genau strukturieren, damit es so von der Hand läuft, wie es auf Instagram aussieht.

Juana Fiedler, Momfluencerin

Momentaufnahmen, genau geplant

Sind Insta-Moms und -Dads also Übermütter und Überväter? Herrscht bei ihnen nie Chaos? Geht nichts schief? Gibt es nie Momente, in denen sie sich am liebsten aus ihrem Leben wegbeamen würden?

In einer Doku von NZZ Format gibt Juana Fiedler einen Einblick in ihre Tätigkeit als Momfluencerin und verrät: «Ich hab für mich eine ganz klare Entscheidung getroffen, dass ich die schönen Dinge im Leben zeigen möchte. Also die Sachen, bei denen ich ein positives Gefühl habe. Ich möchte kein Chaos zeigen, keine heulenden Kinder. Das ist nicht etwas, was ich bei anderen Leuten sehen möchte. Deswegen gehe ich davon aus, weil die Leute sich ja auch mit mir identifizieren, dass sie das bei mir auch nicht sehen möchten.»

Oder anders gesagt: Es sind Momentaufnahmen, die auf Instagram und anderen Kanälen zu sehen sind. Momentaufnahmen, die ausserdem längst nicht so spontan entstehen, wie der Eindruck erscheint. Wer erfolgreich sein will auf Social Media, macht das kaum einfach mal so nebenbei. Es braucht ein klares Konzept und eine akribische Planung. Auch das sagt Juana Fiedler: «Ich muss mir genau Gedanken machen, wann ich was mache, damit ich das auch am Tag vorher schon vorbereiten kann. Ich muss mein Leben wirklich genau strukturieren, damit es so von der Hand läuft, wie es auf Instagram aussieht.»

Auch Scheitern ist natürlich. Und Kinder brauchen keine perfekten Eltern.

Saskia Grösser, Mütter- und Väterberatung, Kanton Bern

Freundlich auf sich selbst blicken

Umso wichtiger ist es, Instagram & Co. nicht als Messlatte zu nehmen. Sich nicht zu vergleichen. Was natürlich nicht nur für soziale Medien, sondern überall gilt. Denn ob Spielplatz, Muki-Turnen oder Kita – Gelegenheiten, sich mit anderen Eltern zu vergleichen, gibt es genug: Ach, dein Noah ist schon windelfrei? Zucker gibt es bei euch nie, also wirklich nie? Und was, Sophia kann schon bis 100 zählen, obwohl sie noch nicht mal im Chindgsi ist?

Genauso wie Kinder sich ganz individuell entwickeln, geht es auch als Eltern darum, den eigenen Weg zu finden. Saskia Grösser plädiert deshalb für einen «liebevollen, freundlichen Blick auf sich selbst». Denn Eltern zu werden und Eltern zu sein, beinhalte auch Irrungen und Wirrungen: «Elternschaft ist wie eine permanente Grenzerfahrung. Auch scheitern ist natürlich. Und Kinder brauchen keine perfekten Eltern.»

Der eigenen Intuition mehr vertrauen

Wenn überall von aussen Empfehlungen und Ratschläge auf einen einprasseln, wenn überall das Bild eines vermeintlich perfekten Lebens präsentiert wird, dann geht vor allem eines verloren: die eigene Intuition, die ich als Mutter oder Vater habe. In der Mütter- und Väterberatung geht es deshalb vor allem auch darum, das Vertrauen in sich selbst und die eigenen intuitiven Fähigkeiten wiederzufinden. Denn die haben wir grundsätzlich alle.

Instagram & Co. bieten vor allem eines: Inszenierung. Das ist nicht abwertend gemeint, sondern liegt wohl einfach in der Natur solcher Plattformen. Aber wenn ich mir das als Userin und User immer mal wieder bewusst mache, kann ich auch entspannter auf mein Leben blicken.

Und kennen wir sie nicht alle, die perfekten Momente? Die Insta-Momente, auch wenn wir selbst nichts posten? Sie blitzen immer wieder auf, zwischen all den anderen chaotischen und überfordernden Momenten. Und das Beste daran: Sie geschehen einfach so, ohne Drehbuch und Studiobeleuchtung, ohne Plan und Vorbereitung. Zwar nicht von der Kamera festgehalten, aber im Hier und Jetzt erlebt.

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.