Am nächsten Tag hat Lina Fieber, mehrere Tage bleibt sie im Bett. Ich rufe meine Rechtsschutzversicherung an, um mich beraten und allenfalls vertreten zu lassen. Obwohl ich das grösstmögliche Versicherungspaket abgeschlossen habe, blitze ich ab. «Es tut mir leid, wir würden Ihnen und Ihrer Tochter wirklich gerne helfen», erklärt der hörbar betroffene Jurist. «Aber da Ihre Tochter vorsätzlich gehandelt hat, ist der Fall nicht gedeckt.» Er kenne sich nicht gut aus mit dem Thema, gibt er zu. «Aber meiner Erfahrung nach hat ihre Tochter nichts zu befürchten. Sie sagt ja als Geschädigte bei der Polizei aus.» Der Jurist gibt mir den Kontakt eines Anwalts, mit dem die Versicherung zusammenarbeitet, und meint, dieser würde mir kostenlos Rechtsauskunft geben. Ich schildere ihm den Fall per Mail.
Mittlerweile ist der Juli 2024 angebrochen und damit die Revision des Sexualstrafrechts in Kraft getreten. Ich recherchiere dazu und finde heraus: Obwohl Änderungen im Strafrecht nur für Taten, die nach diesem Datum begangen werden, gelten, gibt es eine Ausnahme: Ist das neue Recht für Beschuldigte – in diesem Fall also für meine Tochter als potentielle Täterin im Zusammenhang mit Kinderpornografie – milder, so kommt dieses zur Anwendung. Minderjährige, die Nacktbilder versenden, kommen damit ab dem 1. Juli straffrei davon. Ich schreibe dem Anwalt nochmals und frage, ob ich das alles richtig verstanden habe. Er bestätigt und bedankt sich für den Hinweis. Die Last, die Lina und mich die letzten Tage fast erdrückt hat, wird etwas leichter. Zusammen mit der Kinderpsychologin beginnen wir, uns auf die Einvernahme vorzubereiten.
Sämtliche Namen und einige Details wurden zur Anonymisierung geändert oder weggelassen.
Was überhaupt passiert ist und wie es Lina bei der Einvernahme erging, lesen Sie → hier.
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