Zwei Fäuste auf denen "Stop Hate" steht.

Online-Rassismus an Schulen: Was tun?

Wie kann das Thema Online-Rassismus an Schulen aufgegriffen werden? Oft zeigt sich, dass Kindern und Jugendlichen nicht bewusst ist, wo Rassismus anfängt.

 

Tatort ist meist der Klassen-Chat. Da tauchen Hakenkreuze, Hitler-Memes oder rassistische Witze auf. Wie kann das Thema Online-Rassismus an Schulen aufgegriffen werden? Zum Beispiel mit dem Angebot »ToleranzOn«. Oft zeigt sich nämlich, dass Kindern und Jugendlichen nicht bewusst ist, wo Rassismus anfängt.

«Es ist leider ein sehr grosses Thema», sagt Jasmin Schneider vom Verein zischtig.ch, der sich für Medienbildung und Prävention rund um digitale Risiken einsetzt. Und nicht immer kommen die Fälle rasch ans Licht, weil die Schülerinnen und Schüler Chats nutzen, bei denen die Lehrkräfte nicht involviert sind.

Viele wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen.

Jasmin Schneider, zischtig.ch

Hinzu kommt, dass seitens der Lehrerinnen und Lehrer auch Unsicherheit herrscht, wie sie vorgehen und eingreifen sollen. Oder wie sie mit den Klassen am besten über das Thema sprechen können. «Es gibt sehr engagierte Lehrpersonen und Schulsozialarbeiter*innen, die hinschauen und über (Online-)Rassismus sprechen», so Jasmin Schneider. «Viele wissen aber auch nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen.»

 

In Lehrmitteln ist das Thema zu wenig präsent

Dass der Begriff Rassismus im Lehrplan 21 komplett fehlt und im Westschweizer Pendant Plan d'études romand (PER) auch nur einmal (an untergeordneter Stelle) vorkommt, ist für die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) schon länger ein Stein des Anstosses. Zwar werden die Bedeutung von interkultureller Toleranz, gegenseitigem Respekt und die Einhaltung von Menschenrechten in beiden Lehrplänen mehrfach betont. Im Lehrplan 21 heisst es zudem in den Leitideen zum Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung, dass Schüler*innen in der Lage sein sollen, «Benachteiligung und Diskriminierungen zu erkennen». Im PER ist ein Kompetenzziel: «Reconnaître l’altérité et développer le respect mutuel dans la communauté scolaire... en identifiant les diversités et les analogies culturelles (…)».

Dennoch machen Simon Affolter und Vera Sperisen vom Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik in einer → wissenschaftlichen Untersuchung, die vom EKR in Auftrag gegeben wurde, auch die «fehlende Verankerung in den Lehrplänen» dafür verantwortlich, dass «Rassismus in den Lehrmitteln kein Fokusthema und auch kein Querschnittsthema» sei.

Aber: Lehrkräfte sehen Schule in der Pflicht

Zugleich wurde bei der Befragung von Lehrkräften deutlich: Die Auseinandersetzung mit Rassismus wird von einer Mehrheit als Bildungsauftrag verstanden (Deutschschweiz: über 90%, Romandie: rund 70%).

Stellt sich nur die Frage: Wie kann diesem Bildungsauftrag sinn- und wirkungsvoll entsprochen werden? Hilfestellungen für den Unterricht bietet beispielsweise → éducation21, das Bildungsportal für Nachhaltige Entwicklung, mit verschiedenen Themendossiers, die → Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus oder auch → beefreelance.

»ToleranzOn« nimmt das Thema Online-Rassismus in den Fokus. Der deutschsprachige Onlinekurs wurde von zischtig.ch in Zusammenarbeit mit der Stiftung Erziehung zur Toleranz (SET) entwickelt und kann als Präventionsinstrument oder im Zusammenhang mit einem konkreten Vorfall eingesetzt werden. Die Nachfrage zeigt, dass der Bedarf an unterstützenden Tools gross ist: Laut Jasmin Schneider melden sich jährlich rund 250 bis 300 Schulklassen an.

Auswirkungen und Konsequenzen oft nicht klar

Der Kurs umfasst 8 Module, von »Was ist Diskriminierung/Rassismus?« bis hin zu »Wie schütze ich mich vor Hate Speech und wie kann ich mich dagegen wehren?«. Neben Informationen und Beispielen gibt es viele Übungen. Indem jede Schülerin und jeder Schüler einen eigenen (anonymisierten) Zugang erhält, wird dazu animiert, sich offen einzubringen und auch über eigene Erfahrungen und Unsicherheiten zu sprechen.

Die Inhalte eignen sich für ältere Primarschüler*innen (ab der 3. Klasse) genauso wie für Oberstufen-, Gymi- und Berufsschüler*innen. Zudem lässt sich der Kurs individuell, in Gruppen oder als ganze Klasse durchlaufen. Die bisherigen Rückmeldungen der Lehrkräfte seien sehr positiv, freut sich Jasmin Schneider. Oft zeige sich, dass Kindern und Jugendlichen gar nicht klar sei, wie beleidigend, verletzend und diskriminierend Dinge sein können, die sie posten oder weiterleiten. Und auch der Konsequenzen seien sie sich meistens nicht bewusst: «Sie merken nicht, dass etwas rassistisch gemeint ist. Und dann sind sie schockiert, dass sie eigentlich eine Straftat begangen haben.» (Mehr zum Thema »Strafbare Handlungen im Internet« lesen Sie auf unserer → Themenseite.)

Anonymität als Schlüssel für offenen Diskurs

Auch der Perspektivenwechsel gehört zu den wichtigsten Learnings: Sich in die Lage von Betroffenen hineinzuversetzen und zu erkennen, was rassistische Äusserungen und Hate Speech bewirken, wenn man selbst damit gemeint ist.

Gerade die Möglichkeit, Fragen anonym zu beantworten, mag für Kinder und Jugendliche ein Schlüssel dafür sein, sich zu öffnen und ehrlich zu sein. Dasselbe stellen Jasmin Schneider und ihre Kolleg*innen auch fest, wenn sie für Workshops in Schulklassen gehen: «Wenn wir von aussen in die Klassen kommen, sagen sie uns meistens mehr als den eigenen Lehrpersonen. Sie sind offen für Diskussionen und zeigen auch Dinge, die gerade im Umlauf sind.»

Sensibilisieren, informieren, ins Gespräch kommen und klar Stellung beziehen – das alles sind wichtige Aspekte, um gegen Rassismus (ob online oder offline) vorzugehen. Neben den Online-Videos und Übungen zu jedem Modul bietet ToleranzOn für Lehrkräfte einen ausführlichen Leitfaden mit Tipps für die Umsetzung im Unterricht und zur allgemeinen Rassismusprävention. Zudem stellt die EKR auf ihrer → Webseite Handreichungen für öffentliche und private Schulen bei rassistischen Vorfällen bereit.

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.