Zwei jugendliche Mädchen machen ein Selfie.

Positives Selbstbild im digitalen Zeitalter

Teenager zu sein bedeutet auch, der eigenen Identität nachzuspüren. Was können Erwachsene tun, um Jugendliche dabei zu unterstützen, Selbstbewusstsein, ein positives Selbstbild und eine gute Beziehung zum eigenen Körper zu entwickeln? 

Teenager zu sein bedeutet auch, der eigenen Identität nachzuspüren. Dazu gehört, sich auszutesten, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und zu sehen, auf welche Resonanz das stösst. Gerade Social Media sind dafür beliebte Plattformen – sie bieten vielfältige Möglichkeiten, aber auch Risiken. Was können Erwachsene tun, um Jugendliche dabei zu unterstützen, Selbstbewusstsein, ein positives Selbstbild und eine gute Beziehung zum eigenen Körper zu entwickeln? 
 

Erinnern Sie sich noch, wie es war, jung zu sein? Plötzlich mussten wir uns von der Familie abnabeln und über eigene Wege nachdenken.

Was will ich eigentlich? Wer bin ich? Wer will ich sein? Was ist mir wichtig? Wofür stehe ich? Es sind existenzielle Fragen, die Jugendliche beschäftigen – neben den alltäglichen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Und dann sind da die körperlichen und hormonellen Veränderungen. Nichts fühlt sich mehr so an wie vorher. Alles ist irgendwie komplizierter. Kurz: Teenager zu sein ist verwirrend und anstrengend.

Viel hat sich mit Social Media nicht verändert. Oder doch?

Klar also, dass Jugendliche Halt und Orientierung suchen. Und während wir unseren Idolen auf MTV zuhörten und in der Bravo alles Wichtige aus ihrem Leben erfuhren, finden Teenager heute alles, was sie wissen wollen, im Internet oder in den sozialen Medien. Influencer*innen sind die neuen Stars.

Das reale Leben sieht nie so aus.

Ronia Schiftan, Fachstelle PEP

Dennoch sieht Ronia Schiftan, Ernährungs- und Medienpsychologin und Leiterin der Digital-Projekte bei der Präventionsstelle für Essstörungen PEP, wichtige Unterschiede zu früher: «Die Frequenz der Bilder ist in den sozialen Medien viel höher. Und die Influencer*innen sind gefühlt ganz nah. Sie posten alles. Es fühlt sich fast so an, als ob sie Freunde wären.» Das sind zwei Aspekte, die auf die Wahrnehmung der Jugendlichen eine starke Wirkung haben. Der Wunsch, gleich zu sein oder gleich auszusehen, ist gross.

Das Problem dabei: Die Idole vermitteln eine inszenierte Realität. Filter, Photoshop, professionelle Belichtung – kein Pic ist einfach nur ein Schnappschuss. Alles wird perfekt in Szene gesetzt und vor der Veröffentlichung bearbeitet. Dadurch ist der Wunsch der Jugendlichen, gleich zu sein, von vornherein zum Scheitern verurteilt. «Das reale Leben sieht nie so aus», sagt Ronia Schiftan. Aus ihrer Sicht ist diese «Fake-Welt» das grösste Problem von Social-Media-Plattformen, neben falschen Informationen, die gerade im Ernährungsbereich oft im Umlauf seien.

Social Media sind für Jugendliche eine wichtige Lebensrealität

Ihr geht es aber nicht darum, Influencer*innen oder soziale Medien zu verurteilen. Die digitalen Netzwerke sind nämlich gerade für Jugendliche ein wichtiger Lebens- und Resonanzraum. Hier lassen sich – auch ortsunabhängig – Kontakte knüpfen und Interessen teilen. Man tauscht sich aus, findet neue Communitys, denen man sich zugehörig fühlt, postet Selfies, die gelikt werden, probiert sich aus. All das stärkt das Selbstwertgefühl und hilft, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Eine Verunsicherung in Bezug auf die Frage ‚Was ist normal?‘ ist auf jeden Fall da.

Ronia Schiftan

Allerdings gelangten im letzten Herbst Informationen über eine Meta-interne (früher Facebook) Studie an die Öffentlichkeit, wonach sich Instagram bei einem von drei Mädchen im Jugendalter negativ auf die eigene Körperwahrnehmung auswirkt. Ronia Schiftan beobachtet bei ihrer Arbeit mit Jugendlichen Ähnliches: «Eine Verunsicherung in Bezug auf die Frage ‚Was ist normal?‘ ist auf jeden Fall da. Und es geht ja auch um Werte, die transportiert werden. Etwa, dass gutes Aussehen Erfolg bedeutet.» Zudem ist sie überzeugt, dass allein die Masse an geposteten Bildern beeinflussend wirke – selbst wenn man kritisch eingestellt sei und wisse, dass die Fotos bearbeitet seien.

Verantwortungsvoller Medienumgang – für alle wichtig

Im Pilotprojekt «Responsible Health Blogging» sensibilisiert PEP derzeit Influencer*innen für ein verantwortungsbewussteres Online-Verhalten. Dazu gehören beispielsweise eine klare Deklaration, dass ein Bild bearbeitet wurde, oder das Wissen darüber, wie wichtig es gerade bei den Themen Gesundheit und Ernährung ist, wissenschaftlich fundierte Informationen weiterzuverbreiten.

Ein Umdenken müsste allerdings auch bei den Social-Media-Plattformen selbst stattfinden, etwa indem die Algorithmen geändert werden und die Postenden nicht mehr abgestraft werden, wenn sie mal ein paar Tage kein Foto veröffentlichen. In einigen Fällen haben Anbieter auch bereits reagiert: Pro-Ana- und Pro-Mia-Foren beispielsweise, auf denen Magersucht und Bulimie verherrlicht wurden, sind seit längerem verboten. Das gilt auch für die entsprechenden Hashtags. Allerdings finden die Communitys meist neue Möglichkeiten unter anderen Hashtags, um sich wieder zu vernetzen.

Umso wichtiger ist es, dass Heranwachsende schon früh einen verantwortungsbewussten Umgang mit den sozialen Medien lernen. In ihren Gesprächen mit Jugendlichen empfiehlt Ronia Schiftan erst mal eine Auseinandersetzung mit allen Accounts, denen man folgt. Fragen, die dabei eine Orientierung bieten, können sein: 

  • Warum folge ich der Person?
  • Welche Gefühle lösen die Bilder aus? Sind sie positiv oder negativ?
  • Würde ich auch im realen Leben mit dieser Person Zeit verbringen wollen?
  • Würde ich sie nach Hause einladen?

Erwachsene: eigene Körperwahrnehmung reflektieren und positives Selbstbild vorleben

Und auch Eltern, Lehr- oder andere Bezugspersonen können Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, ein positives Selbst- und Körperbild zu entwickeln:

  1. Fangen Sie an bei der eigenen Beobachtung und Reflexion: Wie gehe ich mit mir und meinem Körper um? Was lebe ich vor? Habe ich Vorurteile gegenüber Menschen, die nicht der «Norm» entsprechen? Oftmals sind es sogar gut gemeinte Äusserungen, bei denen etwas Problematisches mitschwingt. Etwa wenn man im Wachstumsprozess des Kindes sagt: «Mach dir keine Sorgen, wenn du jetzt etwas in die Breite gegangen bist. Du streckst dich schon wieder.» Dem Kind wird dabei implizit vermittelt, dass runder zu sein etwas Schlechtes ist.
  2. Wenn es um die Idole Ihrer Kinder geht, seien Sie einfach offen und neugierig, ohne gleich zu bewerten. Fragen Sie nach: «Wem folgst du da? Was findest du besonders cool daran?»
  3. Auf dieser Grundlage wird ein Dialog möglich über Körperbilder, Geschlechterstereotype, Online-Realitäten, die eigene Identität und Wertvorstellungen. Denn ein positives Selbstbild entsteht vor allem auch dann, wenn Kinder und Jugendliche verinnerlichen, dass Körpervielfalt etwas Schönes ist und dass das Aussehen nicht das ist, was uns ausmacht.

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Weitere Informationen und Tipps finden Sie in unserer Rubrik → Selbstdarstellung & Schönheitsideale

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.