KI macht Erpressungen noch einfacher

| Bettina Bichsel

Eine Familie wird erpresst mit sexuell expliziten Fotos, die Glauben machen, ihre minderjährige Tochter lasse sich prostituieren. Die Fotos sind gefälscht, mit einem KI-Tool erstellt – aber selbst für die Eltern sehen sie echt aus. Vor solchen erschreckenden Fällen wollen wir unsere Kinder schützen. Nur wie?

Der geschilderte Fall ist nicht erfunden, sondern so in der Schweiz geschehen. Er ist bei der Meldestelle gegen Pädokriminalität im Netz, → cklickandstop.ch, eingegangen, die in genau solchen Fällen hilft. Und das war kein Einzelfall, wie Regula Bernhard Hug, Leiterin der Geschäftsstelle von Kinderschutz Schweiz, im Gespräch erklärt. Kinderschutz Schweiz betreibt die Meldestelle zusammen mit der Stiftung von Guido Fluri und dem Bundesamt für Polizei (fedpol) und hat einen Zuwachs an Fällen von sogenannter Sextortion, das heisst Erpressung mit intimen Fotos und Videos, festgestellt: 2023 machten solche Fälle fast die Hälfte aller Beratungsgespräche aus.

Auch die kantonalen Polizeien, das Bundesamt für Polizei und die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) beobachten dieselbe Entwicklung. Das hängt nicht zuletzt mit künstlicher Intelligenz zusammen. Die Technik ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Manipulation von Bildmaterial einerseits immer einfacher wird – und andererseits eben oft nicht mehr als Fälschung erkennbar ist. Wie wir im beschriebenen Fall gelesen haben, merken sogar engste Angehörige von Betroffenen nicht, dass die Fotos und Videos nicht real, sondern bearbeitet sind.

Dass die Erpresser*innen aufhören, wenn die Forderungen erfüllt werden, kommt statistisch gesehen praktisch nie vor.

Regula Bernhard Hug, Kinderschutz Schweiz

Jugendliche als Opfer von Kriminellen

Sextortion kann aber auch ohne KI passieren: Wenn Jugendliche zum Beispiel aus Verliebtheit intime Fotos von sich verschicken. Oder wenn sie sich dazu überreden lassen, sich selbst vor laufender Kamera anzufassen. Oft erschleichen sich Kriminelle bewusst das Vertrauen von Heranwachsenden, geben sich mit gefälschten Profilen auf Dating-Plattformen als attraktive Gleichaltrige aus, obwohl sie in der Realität älter sind und vielleicht nicht einmal das angegebene Geschlecht haben. Sobald sie die Fotos oder Videos haben, drohen sie damit, diese im Netz zu veröffentlichen. Sie verlangen Geld, noch mehr intimes Bildmaterial oder persönliche sexuelle Treffen.

Um in Kontakt mit ihnen zu treten, bewegen sich die Täterinnen und Täter überall dort im Netz, wo sich Heranwachsende gerne aufhalten: in sozialen Medien, Chatrooms oder Onlinegames.
 

Schweizweite Kampagne zum Schutz von Heranwachsenden

Um Kinder und Jugendliche zu schützen, hat Kinderschutz Schweiz gemeinsam mit Jugend und Medien sowie anderen Partnern eine → Kampagne lanciert. Aufmerksam gemacht wird im Laufe von drei Jahren auf verschiedenste Cybersexualdelikte. Sextortion war der erste Schwerpunkt.

Das koordinierte Vorgehen unterschiedlicher Akteure ist für Regula Bernhard Hug unabdingbar: «Es braucht das Wissen und die Möglichkeiten der einzelnen Partner, um etwas zu erreichen.» Das gilt umso mehr, als bei Sextortion regelrechte Erpressernetzwerke international agieren. Involviert sind darum neben Präventions- und Opferberatungsorganisationen sowie Strafverfolgungsbehörden auch Telekomanbieter und Gameentwickler*innen.

Schütze, was dir wichtig ist!

Kampagne gegen Sextortion

Hauptbotschaft: «Was du online teilst, teilst du mit allen»

Ziel der Kampagne ist es, Betroffenen, Eltern und Fachleuten Strategien an die Hand zu geben, damit es im besten Fall gar nicht erst zu einer Erpressung kommen kann. Und wenn doch etwas geschieht, dass richtig reagiert wird. Denn eines zeigt sich immer wieder: «Dass die Erpresser*innen aufhören, wenn die Forderungen erfüllt werden, kommt statistisch gesehen praktisch nie vor», so Regula Bernhard Hug. Vielmehr gehen die Erpressungen weiter, die Betroffenen geraten immer fester in die Fänge der Täter*innen.

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, wurde der Film, der im Zentrum der Kampagne steht, über Diaspora-TV Schweiz in mehrere Sprachen übersetzt und gezeigt. Gezeigt wird bewusst kein minderjähriges Opfer. Vielmehr wird aus der Perspektive eines Vaters veranschaulicht, wie leicht ein Foto mit KI manipuliert und in falsche Kontexte gestellt werden kann. Die Hauptbotschaft: «Was du online teilst, teilst du mit allen. Darum schütze, was dir wichtig ist!»

Wie aber können Jugendliche sich konkret schützen? Und was sollten Eltern beachten und vermitteln?

Tipps, um möglichst zu verhindern, dass etwas passiert

  • Ein einfacher Grundsatz für Sie selbst und Ihre Kinder: Immer nur das online teilen, was man auch offline mit Fremden teilen würde.
  • Wenn Sie Fotos von Ihrem Kind posten, sollte das Gesicht möglichst nicht erkennbar sein.
  • Sprechen Sie mit Ihren Kindern über die Risiken im Zusammenhang mit Fotos und Videos, die sie mit anderen teilen. Kindern und Jugendlichen sollte klar sein, dass Profile gefälscht sein können. Und dass sich hinter vermeintlich Gleichaltrigen ältere Menschen mit bösen Absichten verbergen können.
  • Intime Fotos/Videos können missbraucht werden. An Menschen, die nur übers Internet bekannt sind, sollte man nie solche Aufnahmen schicken. Auch in einer Beziehung sollten Jugendliche darauf achten, dass sie auf erotischen Fotos oder Videos nicht zu erkennen sind.
  • Oft wissen Heranwachsende das grundsätzlich, lassen sich dann aber doch dazu verleiten, weil sie verliebt sind oder weil das Gegenüber Druck aufsetzt. Machen Sie Ihrem Kind klar, dass es nie selber schuld ist und immer zu Ihnen kommen kann. Selbst wenn es etwas getan hat, von dem Sie abgeraten haben. Manchmal tun wir alle Dinge, obwohl wir eigentlich wissen, dass es keine gute Idee ist.
  •  Klären Sie Ihr Kind über sexualisierte Gewalt auf (online wie offline) und trainieren Sie Strategien, um auf ungewollte Kontaktaufnahmen zu reagieren. Sätze wie «Das will ich nicht!» oder «Ich zeig dich an!» können Täter*innen abschrecken.

Tipps, wenn doch etwas passiert ist

  • Gehen Sie nie auf erpresserische Forderungen ein.
  • Bei einem unguten Gefühl können Sie sich anonym bei → clickandstop.ch melden. Dort erhalten Sie von erfahrenen Personen Hilfe.
  • Sextortion-Vorfälle lösen meist Scham-, aber auch Schuldgefühle aus. Machen Sie Ihrem Kind keine Vorwürfe. Zeigen Sie stattdessen, dass Sie voll und ganz auf seiner Seite stehen und geben Sie Ihrem Kind die nötige Zeit, um über das Geschehene zu sprechen.
  • Melden Sie den Vorfall möglichst rasch bei der Polizei und nehmen Sie Handy oder Tablet von Ihrem Kind mit. Sichern Sie wenn möglich Screenshots mit Informationen über die Täterschaft und die erpresserischen Forderungen. Schicken Sie zur Beweissicherung keine intimen Foto- oder Videoaufnahmen, die Ihr minderjähriges Kind an die Täterschaft versendet hat, auf Ihr eigenes Handy. Solche Aufnahmen können als Kinderpornografie eingestuft werden. Hier gilt: Herstellung, Besitz und Weiterverbreitung sind strafbar.
  • Die Vorstellung, mit Fremden (Polizei, Psychologen oder andere Fachleute) über das Vorgefallene zu sprechen, ist unangenehm. Machen Sie Ihrem Kind Mut, weil Aussagen wichtig sind, um Täter*innen zu bestrafen. Achten Sie zugleich darauf, dass Sie Ihr Kind nicht überfordern.
  • Nutzen Sie den kostenlosen Dienst → «Take it down», um dafür zu sorgen, dass die Fotos/Videos, die in Umlauf geraten sind, gelöscht werden.


Weitere Informationen zur Kampagne finden Sie auf der Webseite von → Kinderschutz Schweiz. Tipps für Sie und Ihre Kinder zum allgemeinen Schutz vor sexualisierter Online-Gewalt finden Sie in unserer Rubrik → «Sexuelle Übergriffe im Netz».

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.